AMR Benchmark 2020: Erste Zeichen von Fortschritt im Kampf gegen multiresistente Keime, jedoch noch nicht im erforderlichen Ausmass (for Swiss media)
Der heute veröffentlichte 2020 AMR Benchmark zeigt, dass immer mehr Pharmaunternehmen versuchen, Ärzten und weiteren Spezialisten aus dem Gesundheitswesen vom übermässigen Verkauf von Antibiotika und Antimykotika abzubringen. Die meisten Unternehmen haben Strategien entwickelt, um zu verhindern, dass antibakterielle Rückstände über Fabrikabwässer freigesetzt werden. Darüber hinaus herrscht seitens der Pharmaunternehmen mehr Transparenz darüber, wo Arzneimittelresistenzen auftreten.
Mit nur 51 Produkten in späten Stadien der klinischen Entwicklung bleibt die Entwicklungspipeline für Medikamente gegen Bakterien- oder Pilzinfektionen in prioritären Krankheitsbereichen im Vergleich zu 2018 weiterhin klein. Für nur eine Handvoll weiterer Antibiotika in diesem Stadium sind Pläne vorhanden, um sie nach der Markteinführung verfügbar zu machen und mit Bedacht anzuwenden. Darüber hinaus werden Antibiotika in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen wegen entsprechenden Registrierungsbestimmungen oder Angebotsstrategien nicht allgemein verfügbar gemacht.
, sagte Jayasree Iyer, Executive Director der Access to Medicine Foundation, die den AMR Benchmark veröffentlicht.
Der AMR-Benchmark ist ein unabhängiger Bericht, der alle zwei Jahre veröffentlicht wird. Darin wird verglichen, wie ein Querschnitt der Pharmaindustrie auf die Bedrohung durch arzneimittelresistente Infektionen reagiert. 30 Unternehmen mit maßgeblicher Beteiligung am Antiinfektiva Markt wurden untersucht – darunter multinationale Pharma- und Biotechnologieunternehmen sowie Hersteller von Generika. Sie gehören zu den letzten Unternehmen, die sich verpflichtet fühlen, solche Produkte weiterhin zu entwickeln und zu produzieren. Zusammen haben sie 1.520 antibakterielle beziehungsweise antimykotische Medikamente oder Impfstoffe am Markt, und ihr Portfolio macht fast 40 % der in der Entwicklung befindlichen Antibiotika aus.
Aufgrund der geringen Rentabilität von Antibiotika verlässt sich die Welt in gefährlichem Maße auf nur eine Handvoll Pharmaunternehmen, die diese entwickeln und herstellen. Seit dem AMR-Benchmark 2018 haben sich zwei weitere Unternehmen, Novartis und Sanofi, aus der Forschung und Entwicklung (F&E) neuer Antibiotika zurückgezogen. Zwei weitere Unternehmen, Achaogen und Melinta, haben Insolvenz angemeldet.
Die neuesten Statistiken zeigen das Ausmass des Problems. Schätzungen zufolge sterben allein in den USA jährlich 35.900 Menschen an Antibiotika- und Antimykotika-Resistenzen. In der EU bzw. im europäischen Wirtschaftsraum machen Resistenzen mindestens 17 % der Infektionen aus. AMR ist dort jedes Jahr für 33.000 Todesfälle verantwortlich. In Indien liegt die Resistenz vieler weitverbreiteter Bakterien bei über 70 %.
Weniger bekannt ist, dass heute mehr Menschen an mangelndem Zugang zu Medikamenten sterben als an Resistenzen. Es ist daher essenziell, den Zugang zu wirksamen Arzneimitteln zu verbessern. Eine umsichtige Anwendung ist unerlässlich, um sicherzustellen, dass Medikamente so lange wie möglich wirken.
GlaxoSmithKline (GSK), Entasis und Cipla werden 2020 als führend eingestuft, gefolgt von einer kleinen Gruppe stark performender Unternehmen. GSK verfügt über die grösste Pipeline und entwickelt die meisten neuen Impfstoffe. Jedoch hat sich das Unternehmen seit 2018 in einigen Bereichen zurückentwickelt, während es sich in anderen verbessert hat. Pfizer zum Beispiel ist jetzt führend hinsichtlich der gesellschaftlichen Verantwortung im Umgang mit Antibiotika und Antimykotika. Es ist das erste Pharmaunternehmen, das seine rohen Kontrolldaten öffentlich zur Verfügung stellt. Johnson & Johnson war gerade im zweiten Jahr stark, vor allem im Hinblick auf Massnahmen zur Verbesserung des Zugangs zur Behandlung von Tuberkulose.
Entasis konzentriert seine F&E-Aktivitäten ausschliesslich auf Bakterien der höchsten Bedrohungskategorie, einschliesslich , die schwere arzneimittelresistente Infektionen wie Lungenentzündung, Septikämie und Meningitis verursachen können. Cipla ist eines von drei Unternehmen, das im Jahr 2020 die Vertriebsprämien vollständig vom Verkaufsvolumen abgekoppelt hat. Dies ist ein bedeutender Schritt, übermässigen Absatz zu mindern.
Seit 2018 hat sich Novartis von seinen antimikrobiellen F&E-Aktivitäten getrennt, was zur schwächeren Performance im Vergleich zu 2018 beiträgt. Dennoch produziert Novartis über Sandoz 152 antibakterielle und antimykotische Medikamente, verarbeitet in einem Netzwerk von mehr als 20 Standorten mehr als 50 antibakterielle Wirkstoffe und arbeitet mit mehr als 100 Lieferanten zusammen. Das Unternehmen verfügt über ein umfassendes Programm, mit dem sichergestellt werden soll, dass seine Medikamente stets verfügbar sind. Es verfolgt ausserdem eine umfassende Strategie, mittels der verhindert werden soll, dass antibakterielle Rückstände in Fabrikabwässer freigesetzt werden.
Debiopharm und Polyphor entwickeln beide Antibiotika gegen einige der lebensbedrohlichsten und gefährlichsten arzneimittelresistenten Bakterien. Debiopharm beispielsweise arbeitet an neuen Antibiotika zur Behandlung von Gonorrhö und von multiresistenten (MRSA). Polyphor hat Medikamente in der Pipeline, die auf gramnegative, arzneimittelresistente Bakterien abzielen, darunter , die Lungenentzündungen im Krankenhaus verursachen können.
Hersteller von Generika bringen sich immer mehr in Innovationen und den besseren Zugang zu Medikamenten ein. Mylan hat von Otsuka die Zulassung zur Behandlung von Tuberkulose-Delamanid für Südafrika, Indien und andere hochbelastete Länder erhalten. Cipla hat das Antibiotikum Plazomicin von Achaogen gekauft. Und Teva berichtet über Strategien zur Preisgestaltung und zur Sicherstellung der Medikamentenversorgung.
Die finanzielle Unterstützung für antibakterielle F&E hat inzwischen kleinere, gezielt darauf ausgerichtete Biotech-Unternehmen in den Fokus gerückt. Sie entwickeln aktuell einige der innovativsten Medikamente, wie beispielsweise Ridinilazol von Summit, das gegen wirkt. Solche Unternehmen können jedoch normalerweise nur in frühen Entwicklungsstadien beitragen. Mangelnde Investitionen für die Weiterentwicklung der Produkte haben dazu geführt, dass Projekte ins Stocken geraten und die Medikamente schlussendlich nicht auf den Markt kommen.
Antibiotika werden in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen wegen entsprechender Zulassungsanträge oder -strategien nicht allgemein verfügbar gemacht. Nur drei der 13 patentierten Antibiotika, die bei der Analyse berücksichtigt wurden, sind in mehr als 10 der 102 Länder, in denen besserer Medikamentenzugang dringend erforderlich ist, zur Verkaufsregistrierung angemeldet. Unternehmen liefern nur 14 von 30 etablierte und noch immer wirksame – sogenannte » vergessene « – Antibiotika in einkommensschwache Länder.
10 Unternehmen entkoppeln entweder Verkaufsprämien vom Verkaufsvolumen oder setzen keine Sales-Agenten für antimikrobielle Mittel mehr ein. 2018 war dies bei nur fünf Unternehmen der Fall. Ein Unternehmen (Teva) setzt neue Best-Practice-Standards. Dort werben Vertriebsmitarbeiter nicht für eigene antibakterielle oder antimykotische Arzneimittel. Durch die Entkoppelung von Prämien vom Verkaufsvolumen oder den Verzicht auf Verkaufspersonal wirken Unternehmen einem übermässigen Verkauf von Antibiotika sowie dem Ausweiten von Resistenzen entgegen.
Neue Massstäbe wurden auch dahingehend gesetzt, dass Unternehmen ihr Wissen über die Ausbreitung von Resistenzen weitergeben. Pfizer ist das erste Unternehmen, das Rohdaten aus seinem Kontrollprogramm in einem frei zugänglichen Online-Register veröffentlicht. Krankenhäuser und Regierungen müssen wissen, wo sich Resistenzen ausbreiten, damit sie die Behandlungsrichtlinien anpassen können.
Seit 2018 werden Bemühungen angestellt weitere Antibiotika, die sich aktuell im klinischen Stadium befinden, nach deren Markteinführung besser zugänglich zu machen und zu kontrollieren: acht von 32 Produkten, verglichen mit zwei von 28 im Jahr 2018 (ein Plus von 18 %). Die Entwicklung solcher Vorhaben bleibt jedoch lückenhaft. Vorausschauende Planung während der klinischen Entwicklung von F&E-Projekten beschleunigt den Zugang und verbessert die Kontrolle erfolgreicher Medikamente nach deren Markteinführung.
Im Vergleich zu 2018 ist das Umweltrisikomanagement der Unternehmen, das die Auswirkungen ihrer Herstellungsprozesse auf Resistenzen minimieren soll, wesentlich umfassender. Die meisten Unternehmen verlangen jetzt von ihren Lieferanten, dass diese entsprechende Standards einhalten. Die Freisetzung von Produktionsabfällen in die Umwelt kann zu AMR beitragen, da die im Wasser und im Boden vorhandenen Bakterien antibakteriellen Inhaltsstoffen ausgesetzt sind, die die Entstehung von Resistenzgenen auslösen können.
- ENDE DER PRESSEMITTEILUNG -
Die entsprechenden Daten, Grafiken und Abbildungen des Berichts sind auf Anfrage verfügbar.
Die Access to Medicine Foundation, die den AMR Benchmark veröffentlicht, ist eine unabhängige gemeinnützige Organisation mit Sitz in den Niederlanden. Ziel ist es, den Zugang zu Arzneimitteln in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu verbessern, indem die Pharmaindustrie angeregt und angeleitet wird, eine grössere Rolle bei der Verbesserung des Zugangs zu Arzneimitteln zu spielen. Der Bericht deckt 19 Indikatoren in drei Messbereichen ab: Forschung und Entwicklung, verantwortungsbewusste Herstellung sowie angemessener Zugang und Kontrolle. Die Methodik definiert sich darüber, die Erwartungen der Interessenvertreter an die Pharmaindustrie bezüglich der Eindämmung von Resistenzen zu überprüfen. Dabei werden auch Beiträge bezüglich AMR seitens internationaler Organisationen, Regierungen, NGOs, Forschungszentren und anderen Initiativen miteinbezogen. Der AMR-Benchmark wird von der britischen Regierung (UK AID), dem niederländischen Aussenministerium sowie dem niederländischen Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport finanziert.